Bäckermädel ....
Ein Odenwälder Volksstück aus dem Steinachtal, geschrieben von Dr. Carl Schnell sen. Zeitpunkt des Geschehens: kurz nach der Jahrhundertwende 18./19. Jahrhundert)
In den ersten Jahren des 19. Jahrhunderts fanden sich in Schönau zwei Herzen, die sich in großer Liebe zuneigten. Das der Rosel Lauer, Tochter der armen Witwe des Schmieds Gottfried Lauer und das des reichen Lammwirtssohnes Peter Trautmann. Rosels Vater war im Krieg gefallen und ließ seine Frau Marie, sowie drei Töchter mittellos und in großer Armut zurück. Rosel - die Älteste - verdiente sich einige Kreuzer als „Bäckermädel“ des Schönauer Bäckers Scheid, indem sie jeden Mittwoch dessen Backwaren über den Berg nach Heddesbach trug.
Peters Vater, der stolze und reiche Lammwirt Michael Trautmann sah die Zusammenkünfte der beiden jungen Leute nicht gerne, denn er hatte seine eigenen Pläne mit seinem Sohn. Selbst Rosel riet ihrem Liebsten, er möge dem Vater gehorchen. Empört wies Peter Rosels Rat zurück und widersetzte sich auch in der Folgezeit ständig seinem Vater.
Während des Kerwetanzes, zu dem auch Rosel und ihr Großvater ins „Lamm“ - auf Einladung von Peter - gekommen waren, kam es zu einer großen Auseinandersetzung, in der Trautmann die Familie Rosels brutal beschimpfte. Selbst die unbeteiligten Gäste verzogen sich aus dem Lokal, nicht ohne vorher eindeutig Stellung für Peter und Rosels Familie - die zwar arm aber rechtschaffen und beliebt war - bezogen zu haben.
Die wüsten Schimpfworte des Vaters trafen Peter hart, so daß er nicht mehr ins Vaterhaus zurückkehrte. Zunächst lebte er einige Tage bei einem Onkel in Altneudorf, wo er den Entschluß faßte, für ein Jahr in die Fremde zu gehen, um seine Ausbildung als Metzger weiter zu betreiben. Danach wollte er heimkehren, seine Rosel heiraten und mit dieser ein eigenes Geschäft aufmachen. Der Pfarrer von Schönau vermittelte ihm eine Stelle bei einem Metzgermeister in Weinheim.
Schwer fiel ihm der Abschied von Rosel, die er an seinem Abschiedstag noch einmal sehen wollte. Deshalb war er - Mittwoch war es - Richtung Wolfsgrube in den Wald gelaufen, um Rosel auf halbem Wege entgegenzukommen. Noch einmal schworen sich beide ewige Treue und Liebe, verabschiedeten sich unter Tränen.
Peter war kaum außer Sicht- und Hörweite, als unterhalb der Wolfsgrube ein Schuß die Stille des Waldes durchbrach. Forstwart Philipp Hauck, der seit geraumer Zeit hinter einem Wilderer herjagte, glaubte nun endlich diesen fassen zu können.
Wie vom Blitz getroffen standen der Forstwart und die herbeieilenden Forstarbeiter an der Stelle, an der die Kugel sein Opfer forderte. - Reglos lag Rosel Lauer, das Bäckermädel, am Waldrand - niedergestreckt von einer verirrten Wildererkugel, wie angenommen werden mußte. Auf ein Geräusch in der Nähe reagierte der Forstwart sofort und spontan - glaubte er doch den Wilderer stellen zu können - . Sein Schuß traf diesen - es war „Baschtl“, der langjährige Knecht des Lammwirtes. Schwer verletzt wurde der Knecht abtransportiert und war lange Zeit nicht vernehmungsfähig.
Der todkranke Baschtl verlangte nach dem Pfarrer und nach dem Forstwart mit den Worten, er sei ein ehrlicher Christenmensch und kein Mörder - diese Schande möchte er nicht mit ins Grab nehmen.
Und so stellte sich - durch die Schilderung des braven Knechtes - heraus, daß Baschtl, der treu und brav ergebene Lammwirt-Knecht von seinem Herrn den Auftrag bekommen hatte, zusammen mit diesem an die Wolfsgrube zu gehen, um das Holz zu zeichnen, das in den nächsten Tagen abzufahren war. Während sich Baschtl am Holz zu schaffen machte, hörte er einen Schuß und sah den Lammwirt den Berg heraufhasten. Er habe jemanden aus Versehen angeschossen, sagte dieser zu seinem Knecht und bat diesen, ihm sein Gewehr zu holen, das er auf seiner Flucht verloren habe. Denn darauf sei sein Name eingraviert - und würde ihn verraten, wenn es gefunden würde. Der treue Knecht ging, um, wie ihm geheißen, die Flinte zu holen, als der Schuß des Forstwarts fiel, der ihn so schwer verletzte.
Noch während der Forstwart Baschtls Worte im „Lamm“ wiedergab, war allen das Geschehene klar geworden, Als die Polizei schließlich eintraf, um den Wirt zu verhören, von dessen Schandtat sich seine Frau weit distanzierte, hatte sich dieser in der Scheune erhängt.
Von alldem wußte nun Peter, der sich zwischenzeitlich in Weinheim befand, nichts. Erst die Mutter, die immer auf Peters Seite gestanden hatte und die Rosel gut leiden konnte, machte sich auf den Weg, um ihrem Sohn die schlimme Nachricht zu überbringen. Sie hatte sich auch zwischenzeitlich rührend um Rosels Familie gekümmert.
Als das Jahr in der Fremde vorbei war, zog es Peter mit aller Macht heim. Doch die Schande, die der Vater über ihn und seine Familie gebracht hatte, hielt ihn ab, direkt in den Ort zu gehen und so ging er den Weg, den sein Bäckermädel immer gegangen war, bis an die Stelle, an der seine Rosel ermordet wurde und an der inzwischen ein Gedenkstein erstellt worden war.
Der Zufall wollte es, daß auch seine Mutter, Rosels Mutter und Friedel, die zweite Tochter, des Wegs kamen. - Sie erkannten Peter und dessen Zweifel sofort. Nur langsam konnten sie ihn überzeugen, daß er keine Schuld an dem tragischen Geschehen habe, weil er nicht von Rosel gelassen habe, sondern daß der Vater dies ganz allein zu verantworten gehabt habe, sich aber selbst gerichtet hätte.
Auch die Nachbarn und die Leute im Dorf hätten für die Wirtsfrau und Peter immer Verständnis aufgebracht - und sie keinesfalls für die ruchlose Tag des Lammwirtes verantwortlich gemacht.
So kehrte Peter Trautmann in der Zeit heim zu der er seine Rosel hatte heiraten wollen.
Der erste Weg im Dorf war auf seinen Wunsch ein gemeinsamer Besuch auf dem Friedhof um das Grab seiner Rosel zu sehen.